Monatliches Archiv: Mai 2012

machtWORTE! in der HUch!, Mai 2011

zum Orginalartikel in der HUch!

Wissen wir immer, was wir sagen? Welche Normalitäten stellt unsere Sprache her und wie kann jede_r Einzelne diese verändern? Zu diesen Fragen sprach Huch! mit Claudia Johann, Maria Elsner, Elisabeth Weber und Cindy Ballaschk über ihr Projekt machtWORTE! In diesem Projekt arbeiten die vier Studentinnen der Gender Studies der HU Berlin innerhalb eines selbst gegründeten Vereins an einem machtkritischen ABC-Buch, das die Grundlage für ihre bildungspolitische Arbeit ist.

 Huch!: Sagt mal wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen ein ABC-Buch für Kinder zu konzipieren?

 machtWORTE!: Im Grunde genommen ist ja unser Buch nicht nur für Kinder, sondern für alle Menschen ab acht Jahren gedacht. Die Idee dazu hatten wir im Rahmen eines Seminars, das wir vier vor ein paar Semestern besucht haben. In diesem Seminar hatten wir die Aufgabe, ein Interventionsprojekt in sprachliche Diskriminierungen und Privilegierungen zu entwickeln. Unser Projekt lief so super und die Arbeit daran hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir auch über das Semester hinaus weiter an der Verwirklichung unserer Idee gearbeitet haben.

 Huch!: Worum genau geht es denn in eurem Buch?

 machtWORTE!: Mit unserem Buch machtWORTE! Sprache kreativ nutzen und verantwortungsvoll handeln wollen wir auf phantasievolle und spielerische Art und Weise einen Zugang zu Sprache und ihrem Gebrauch eröffnen. Das Buch stiftet an, Sprache nicht nur als benennungs-, sondern auch als bedeutungszuschreibende Handlung zu betrachten und soll gleichzeitig dazu bewegen, den eigenen Sprachgebrauch bewusst zu machen und zu überdenken. Sprache ist Vermittlerin oftmals unbewusster Normen, Werte und Bedeutungen. Unser Ziel ist es daher, einige dieser aufzuzeigen und hinterfragbar zu machen. Normalität ist nicht etwas natürlich Entstandenes oder schon immer da Gewesenes, sondern unterliegt einem steten gesellschaftlichen Aushandlungsprozess.

Huch!: Das klingt ziemlich spannend, aber auch noch sehr abstrakt. Könnt ihr eure Idee vielleicht noch einmal an einem Beispiel illustrieren.

machtWORTE!: Wir haben uns gefragt, wie wir komplexe Machtverhältnisse und –strukturen für alle und gerade für jüngere Menschen zugänglich machen können. Unsere Idee war dabei, dass wir weniger Text und Erklärungen einsetzen und dafür mehr über Bilder und deren Deutungsmöglichkeiten arbeiten wollen. Unser Gedanke dahinter ist: Sprache löst Bilder aus. Und gerade in der Verbildlichung – ob in Gedanken, Metaphern oder tatsächlichen Abbildungen – werden normierende Begrenzungen und Vorstellungen fassbar.

Wir haben eher kurze Aussagen, Fragen oder Phrasen zu jedem einzelnen Buchstaben des deutschen Alphabets entwickelt und dazu immer auch eine mögliche Lesart in Form einer Illustration. Bilder und Worte ergänzen, widersprechen oder irritieren sich auf diese Weise gegenseitig und brechen mit konventionalisierten Bildvorstellungen.

Beispielsweise lautet der Text zum Buchstaben F Was ist drin, wenn Familie drauf steht?.

In Kombination mit der Illustration werden Vorstellungen von Familien und Familienkonzepten angesprochen und erweitert, wodurch normative Vorstellungen von Familie als einer heterosexuellen, weißen Zweierbeziehung sowie Familie als harmonische Einheit in Frage gestellt werden. Familie ist nicht zwangsläufig Schutzraum und nicht immer Mama, Papa, Kind(er). Auf diese Weise kann die eigene Sprache als machtvolle Handlung wahrgenommen und gegebenenfalls überdacht werden.

 

Buchstabe F - Was ist drin wenn Familie draufsteht

 

 

Die Frage zum Buchstaben A, der auf dem Titelbild zu sehen ist: Wo ist das Alle, wenn die anderen außen sind? brichtmit Vorstellungen über Zugehörigkeit und Anerkennung. Auch die bildliche Darstellung setzt sich mit Konstruktionen wie Innen/Außen, Wir/die Anderen oder Ich/Du auseinander und versucht diese gleichzeitig zu dekonstruieren. So wird im Zusammenspiel von Sprache und Bild verdeutlicht, dass Zugehörigkeit immer in Abhängigkeit zu einem Kontext steht. Eine Person kann in einem Moment einer Gruppe als zugehörig erkannt werden, während sie es in einer anderen Situation nicht wird.

 Huch!: Auf unserer Titelseite und hier im Text sehen wir ja schon einen Vorgeschmack auf eure Bilder. Wer macht bei euch die Illustrationen?

machtWORTE!: Wir hatten das Glück die Illustratorin Ka Schmitz kennenzulernen. Sie ist bereits in queer-feministischen Kontexten aktiv. Daher haben wir uns sehr gefreut, dass wir sie für unser Projekt gewinnen konnten.

Unsere Zusammenarbeit gestaltet sich stets sehr spannend, weil Ka und wir alle oftmals sehr unterschiedliche Ideen zu unseren Sätzen haben. Die Auseinandersetzung zu den verschiedenen Vorstellungen erweitert für uns alle den Blickwinkel auf die Themen, die wir ansprechen wollen und bereichert das Buch dadurch immer wieder neu. Das Besondere an Ka ist ihre phantasievolle und meist weniger verkopfte Herangehensweise. Auf diese Weise sind nicht nur tolle Bilder bzw. Bildideen entstanden. Auch wir vier haben in dieser Zusammenarbeit sehr viel gelernt, insbesondere wenn es darum geht, unser eigenes Denken und unsere in diesem Kontext eher universitär geprägte Ausdrucksweise zu reflektieren.

Huch!: Das klingt ja nach einer ganzen Menge Arbeit. Wie finanziert ihr euch denn?

 machtWORTE!: Irgendwann während unserer Arbeit sind wir an den Punkt gekommen, an dem wir beschlossen haben, nicht nur dieses Buch zu veröffentlichen. Wir wollen auch darüber hinaus, mit diesem Buch bildungspolitisch mit (jungen) Menschen arbeiten. Daher haben wir uns entschieden, einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Die Arbeit im Verein leisten wir alle vier ehrenamtlich. Mit diesem Verein, der übrigens machtWORTE! e. V. heißt, haben wir die Möglichkeit, verschiedene Gelder zu akquirieren. Erfreulicherweise werden wir vom Quartiersmanagement Pankstraße gefördert. Auch vom Projektfonds Kulturelle Bildung des Berliner Senats haben wir Fördermittel bewilligt bekommen. Zusätzlich unterstützen uns immer wieder Privatspender_innen. Eine Anschubfinanzierung haben wir ganz zu Anfang bereits vom Lehrstuhl Antje Lann Hornscheidt erhalten.

Diese Gelder benötigen wir zur Finanzierung der Illustrationen. Das lief bisher so super, dass wir inzwischen alle Bilder bezahlen können. Das übrige Geld werden wir als Druckkostenzuschuss verwenden, um ein qualitativ hochwertiges Buch drucken lassen zu können.

 Huch!: Wollt ihr das Buch selbst verlegen oder seid ihr gerade auf der Suche nach einem Verlag?

 machtWORTE!: Hier sind wir bereits seit einem Jahr in Kontakt mit dem NoNo-Verlag, über deren erstes Projekt Unsa Haus ihr ja auch schon berichtet habt. Wir fanden, dass deren Verlagsprofil und unsere Projektidee wunderbar zueinander passen. Darüber hinaus unterstützen uns Ben und Ina vom NoNo-Verlag mit konstruktiver Kritik und wichtigen Anregungen.

Huch!: Was denkt ihr denn wann euer Buch fertig ist und wann es gedruckt erscheint?

machtWORTE!: Derzeit gibt es zu jedem Buchstaben einen Satz mit dazugehöriger Skizze. Unsere Zeichnerin Ka Schmitz arbeitet aktuell eifrig an der endgültigen Umsetzung unserer gemeinsamen Ideen. Für uns ist es einfach toll zu sehen, wie sich unsere Vorstellungen und Wünsche immer mehr konkretisieren, also wie Ideen zu Skizzen werden und Skizzen zu Reinzeichnungen und daraus jetzt unser Buch machtWORTE! entsteht. Wir sind optimistisch, dass unser Buch im Herbst diesen Jahres gedruckt werden kann.

 Huch!: Woran arbeitet ihr gerade?

 machtWORTE!: Mit zwei Jugendeinrichtungen in Wedding und Friedrichshain sind wir Kooperationen eingegangen. Das bedeutet, dass wir dort auf der Grundlage der bisher vorhandenen Zeichnungen mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen, um gemeinsam sprachliche und nicht-sprachliche Diskriminierungen und Privilegierungen zu thematisieren.

Gewünschtes Ergebnis ist es, junge Menschen zu konstruktiv kritischem Denken und zu einem aktiven Einschreiten in verletzende (Sprach)Handlungen zu ermutigen. Gleichzeitig möchten wir zeigen, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Sprache nicht nur wichtig ist, sondern auch Spaß macht.

Über die Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls wollen wir eine erste Basis für ein anerkennendes Miteinander schaffen. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche dazu zu bringen, aufzuhorchen, wenn verbale oder nonverbale Verletzungen in ihrem Umfeld auftreten und auch einzuschreiten bzw. sich offen davon zu distanzieren. Wir wollen junge Menschen dazu bewegen, sensibel zu werden für Ungleichheit fördernde Prozesse in der Schule, im Freundeskreis oder in der Familie.

Huch!: Worin seht ihr den besonderen Wert eures Projektes?

machtWORTE!: Wir bieten einen Zugang zum Erkennen und Hinterfragen von Machtverhältnissen undvon Wissensproduktion an. Auf diese Weise können Leser_innen über im Alltag Beobachtetes stutzen, sich wundern, nachfragen und Irritationen produktiv ansprechen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, den eigenen Sprachgebrauch zu überdenken und als machtvolle Handlung bewusst zu machen. Es soll ermutigen, aktiv am Wortschöpfungsprozess teilzunehmen. Denn: ein verantwortungsvoller Umgang mit Sprache ist nicht nur wichtig, es macht auch Spaß. Also: macht WORTE!

 Huch!: Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!

 Kontakte:

machtWORTE! e. V.: machtWORTE [at]gmx.de, www.facebook.com/mworte

Ka Schmitz: www.ka-comix.de